19.01.2025 – Licht und Schatten in Accra

Auf den Unabhängigkeitsplatz ist Ghana besonders stolz. Am 6. März eines jeden Jahres wird auf dem mehrere Fußballfelder großen Platz am Meer eine Parade abgehalten. Ein vereintes und von der Kolonialherrschaft befreites Ghana wird gefeiert. Die Straßen ringsherum sind zugeparkt und verstopft. Der Platz ist voller Schulklassen. Die Ränge sind voller begeisterter Zuschauer.

Heute sieht es anders aus. Der Platz ist sauber und recht leer. Von Stau und Verkehr keine Spur. Auch nicht im gegenüberliegenden Sportstadium, im dem die sogenannten „Black Stars“ regemäßig Fußballerfolge für Ghana feiern. Es ist Sonntag Vormittag. Es scheint, als sein ganz Ghana zu Hause oder im Gottesdienst – so erklärt es uns Michael, mit dem wir heute durch die Hauptstadt fahren.

Das ist praktisch, da wir dadurch recht zügig vorbei am Präsidentenpalast, Ministerien, Banken, dem Nationaltheater, Märkten, Universitäten und dem Kwame-Nkrumah-Mausoleum kommen. Wir möchten auf die gegenüberliegende Seite der Stadt, nach Korle Bu beziehungsweise Agbogbloshie. Was uns hier erwartet, hätte Kwame Nkrumah, dem ersten Präsidenten Ghanas sicherlich nicht gefallen: Entlang eines Flusses zieht sich am Stadtrand von Accra eine riesige Müllhalde, die größte Müllhalde für Elektronikschrott der Welt. Es ist einfach, die Halde voller Plastik, Computer- und Unterhaltungselektronikresten zu finden. Sie befindet sich wenige hundert Meter vom Stadtzentrum auf der einen Seite sowie genauso weit vom größten und ältesten Krankenhaus Accras auf der anderen Seite entfernt.

Zu unserer Überraschung, haben wir keine Schwierigkeiten, auf das Deponiegelände zu gelangen, so wie die geschätzten 40.000 Menschen, die hier leben und arbeiten. Mit einfachsten Mitteln, meist mit den bloßen Händen, versuchen sie, seltene Erden und Metalle aus den in tausenden Kilometern weggeschissenen Altgeräten zu gewinnen. Die Reste werden angezündet oder vom Fluss wegtransportieret, der wenige hundert Meter weiter in das Meer mündet.

Es stinkt bestialisch, an vielen Stellen qualmt es aus den Müllhalden und direkt neben den unendlich scheinenden Haufen stehen Häuser. Erst auf den zweiten Blick erkennen wir die Menschen, die im Müll irgendetwas Aufsammeln. Nebenan grasen Kühe und Ziegen. Am Strand waschen sich Kinder im Meer.

Impressionen aus Accra, der Hauptstadt Ghanas

Der Anblick ist bedrückend. Die Situation macht uns sehr nachdenklich. Es ist unfassbar, wie nah und wie deutlich in Accra arm und reich auf engstem Raum beieinander liegen. Ebenso stellen wir uns die Frage, warum nicht noch mehr Computer und Flachbildschirme ein „zweites Leben“ in einem HITA-Computer-Lab ermöglicht bekommen; gerade mit dem Hintergrund, dass wir erst gestern wieder ein HITA-Computer-Lab besucht haben, in welchem nach sechs Jahren noch alle aufgestellten Computer funktionieren und die Schule das elektronische Lehr- und Lernangebot auf eigene Initiative hin sogar erweitern konnte.

Wir verlassen diesen bedrückenden Ort mit einem letzten Blick auf die Flussmündung und das Meer, das seinen Reiz an dieser Stelle mit riesigen Säcken voller Plastikflaschen und gräulich-ölig schimmerndem Abfallschlamm mehr als verloren hat. Übrigens: Die Berge an Plastikflaschen werden vermutlich für eine neue Recyclinganlage gesammelt, die in den kommenden Tagen eingeweiht wird. Wie uns ein junger Mann erklärt, der nach eigener Aussage seit einem Jahr auf der Müllhalde arbeitet, bekommen die Sammler pro Kilogramm leerer PET-Gebinde aktuell 2 Ghana Cedi, das sind etwa 12 Euro-Cent. Auf dem Kopf trägt er seine Ausbeute der letzten vier bis fünf Stunden, die er zur Sammelstelle bringt: Bis zu 40 kg Plastikmüll, der durch seine Arbeit heute nicht im Meer gelandet ist. Ein kleiner Lichtblick.

Auf der riesigen Müllhalde von Korle Bu/Agbogbloshie am Stadtrand von Accra leben schätzungsweise 40.000 Menschen
Godwin France plant mit seiner NGO eine unterbrechungsfreie Ausbildung für an Krebs erkrankte Jugendliche

Zurück im Hotel treffen wir Godwin France. Der Telekommunikationsingenieur stellt uns ein Konzept für die kontinuierliche schulische Ausbildung an Krebs erkrankter Jugendlicher vor, welche mit Hilfe elektronischer Lehrmaterialien, ehrenamtlicher Lehrkräfte und Videokonferenzen mit ihren Schulen erfolgen soll, während sie für ihre Chemotherapie die Schule nicht besuchen können.

Godwin hat mit seiner NGO bereits Erfahrung in der Unterstützung der Ausbildung von straffälligen Jugendlichen sammeln können. Sein Konzept ist schlüssig aufgebaut und klingt vielversprechend. Wir denken darüber nach, ihn mit IT-Equipment – zunächst für die Pilotphase – zu unterstützen. Ein weiterer Lichtblick!