Die universelle Geschichte: Lernen aus der Vergangenheit!
Autor: Maximilian Glätzner (HITA Experte – Kontakt: maximilian.glaetzner@hita-ev.org)
“Those who cannot remember the past are condemned to repeat it“; diese Worte stammen von George Santayana, einem us-amerikanischen Philosophen und Schriftsteller. Unabhängig davon, was Santayana damit eigentlich ausdrücken wollte, dient das Zitat häufig als Warnung vor einer Wiederholung der Geschichte. Viele glauben, die Geschichte wäre ein sich wiederholender Zyklus. Das stimmt so aber nicht; die Geschichte wiederholt sich natürlich nicht. Wenn sich die Geschichte wiederholen würde, dann könnten wir mit Sicherheit sagen, was morgen oder in Zehen Jahren auf uns zukommt. Dem ist aber nicht so; niemand kennt die Zukunft, immer wieder passieren Dinge, die uns überraschen. Mitnichten hat die Geschichte einen Wiederholungscharakter, aber sie hat einen universellen Charakter: In historischen Prozessen lassen sich Muster erkennen und wir können historische Prozesse auf die heutige Zeit übertragen. Wir können das aus einem Grund: Die Geschichte wird durch Menschen gemacht und die Menschen haben sich in ihrem Wesen und ihren Grundzügen nicht verändert. Folglich sind die Grundzüge und Strukturen innerhalb der Geschichte immer dieselben gewesen. Diese Erkenntnis bietet natürlich Raum für Resignation. Wir müssen nämlich begreifen, dass obwohl die Zeit fortschreitet und wir Fortschritt erleben, die Menschen doch immer noch mit den selben Problemen kämpfen. In Geschichtsfatalismus zu verfallen wäre jedoch der falsche Weg. Es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass die Möglichkeit historische Prozesse auf die heutige Zeit übertragen zu können auch die Möglichkeit bietet aus der Geschichte zu lernen. Vielleicht kann man das eingangs erwähnte Zitat von George Santayana umformulieren: „Wer die Geschichte nicht kennt bzw. verkennt, kann nicht aus ihr lernen.“. Nun handelt es sich dabei nicht bloß um eine philosophisch metaphysische Erkenntnis. Diese Erkenntnis lässt sich auch praktisch anwenden. Ich möchte dies anhand der medizinischen Situation in Ghana verdeutlichen.
Vorweg sollte man feststellen, dass jeder nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung eine medizinische Entwicklung vorausgehen sollte. Kein Staat wird sich auf lange Sicht positiv entwickeln können, wenn ein Großteil der Bevölkerung, bedingt durch Krankheit und schlechter medizinischer Versorgung, nur eine geringe Lebenserwartung hat. Das Gesundheitssystem in einem Staat zu verbessern hat also nicht nur positive Folgen für die Bevölkerung an sich, vielmehr wird so dem gesamten Staat bei seiner Entwicklung geholfen.
Obwohl Ghana ökonomisch und politisch besser aufgestellt ist als viele andere afrikanische Staaten, sterben auch in Ghana immer noch viele Menschen an Krankheiten, die eigentlich heilbar wären. Schuld dabei trägt ein unzureichendes Gesundheitssystem. Die positive Entwicklung der ghanaischen Wirtschaft in den letzten Jahren führte zur Landflucht und damit auch zu Ballungszentren. Die Menschen verlassen die schlecht angebundenen ländlichen Regionen und ziehen in die Städte, die in Folge unnatürlich schnell wachsen. Die wichtigen Infrastrukturen, also die Abwassersysteme, die Versorgung mit sauberem Trinkwasser und eine funktionierende Müllentsorgung, wachsen aber nicht mit gleicher Geschwindigkeit mit. Die Folgen wurden bereits erwähnt: Infektionskrankheiten wie Cholera und Typhus breiten sich aus und enden vor allem für Kinder häufig tödlich.
Exakt diese Beschreibung trifft auch auf Europa in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu. Im Zuge der Industrialisierung kam es auch in Europa zur Landflucht und somit zu Ballungszentren, in denen sich Infektionskrankheiten ungehindert -medizinische Infrastruktur fehlte nämlich auch hier- ausbreiten konnte. Opfer waren selbstverständlich die Schwachen aus den unteren sozialen Schichten. Wir können problemlos die damaligen europäischen Prozesse auf die Situation in Ghana übertragen, eben weil die Geschichte einen universellen Charakter hat. Es bleibt also die wichtige Frage, wie die damaligen Probleme gelöst wurden und wie man den katastrophalen Verhältnissen entgegengewirkt hat.
Um diesen Problemen Herr zu werden, war ein langer Prozess notwendig, der die westliche Schulmedizin zu dem machte, was sie heute ist. Im Mittelalter war die Medizin von der Vorstellung geprägt, die Gesundheit des Menschen wäre von lediglich vier Säften im menschlichen Körper abhängig (Humoralpathologie bzw. Vier-Säfte Lehre). Es wurde angenommen, dass man diese vier Säfte im Gleichgewicht halten müsse, weil sonst Krankheit entstehen würde. Es kam so zu völlig abstrusen Behandlungsmethoden wie dem Aderlass, der nicht selten zum Tod des Patienten führte. Häufig wurden diese medizinischen Annahmen noch mit der Astrologie oder anderen religiösen Vorstellungen in Verbindung gebracht. Es versteht sich von selbst, dass die Medizin von damals nur wenig zum Gemeinschaftswohl beigetragen hat. Mit der Aufklärung entwickelten sich nicht nur die modernen Naturwissenschaften, auch die Medizin wurde fortan naturwissenschaftlich betrieben und moderne Paradigmen setzen sich durch. Das Zeitalter der Industrialisierung, das aus medizinischer Sicht – wie bereits erwähnt- von Infektionskrankheiten geprägt wurde, führte zur Erforschung der selbigen: Man entdeckte die Mikroorganismen und die Bakteriologie setzte sich durch. Das war der entscheidende Meilenstein für die europäische Schulmedizin. Nun war bekannt, dass es nicht etwa die schlechte Luft war, die krank machte, sondern kleinste Organismen. Nach und nach wurde man sich der Bedeutung von Hygiene bewusst. Abwassersysteme wurden errichtet, die medizinische Infrastruktur im Allgemeinen ausgebaut, Gesundheitsämter gegründet und als die Ärzte angefangen haben sich vor operativen Eingriffen nur die Hände zu waschen, stiegen die Erfolge bei Behandlungen signifikant. Später entwickelte man auch Desinfektionsmittel und Antibiotika und nach dem Ersten Weltkrieg spielten Infektionskrankheiten keine so große Rolle mehr in Europa. Hätte man das Wissen über die Bedeutung von Hygiene (sowohl in den Städten, als auch in den Krankenhäusern bzw. Lazaretten) einige Jahrzehnte früher zur Verfügung gehabt, wären Millionen Menschen nicht gestorben.
Es sind eben auch diese, eigentlich banalen, Erkenntnisse, die helfen könnten die medizinische Situation in Ghana deutlich zu verbessern und sämtlichen Infektionskrankheiten wirksam und präventiv entgegenzuwirken. Vor allem handelt es sich nicht um schwer zu begreifende medizinische Sachverhalte, es sind relativ einfach zu verstehende Inhalte, die man auch sehr gut über Kommunikationssysteme, also zum Beispiel über Mobilfunktelefone, verbreiten könnte. Man stelle sich nur einmal vor, dass das medizinische Personal in Ghana mit Hilfe eines Mobilfunktelefons eine Checkliste mit den wichtigsten Hygieneanforderungen im medizinischen Bereich durchgehen kann. Das Wissen über Hygiene könnte auf diese Weise auch die nördlichen schlechter angebunden Gebiete Ghanas erreichen, ohne, dass dort studierte Ärzte praktizieren müssen.
Schlussendlich bleibt nur zu betonen, dass dieser Artikel auf keinen Fall eine exakte Handlungsanweisung bietet, was zu tun ist. Es sollte aber deutlich werden, dass wir die europäische Geschichte und die europäischen Entwicklungen (v.a. im medizinischen Bereich) ohne größere Probleme auch auf afrikanische Länder übertragen und von ihnen lernen können. Die Geschichte ist eben universell.
von Maximilian Glätzner (HITA Experte – Kontakt: maximilian.glaetzner@hita-ev.org)