Videokonferenz zwischen Ghana und der Hochschule Mannheim
Videokonferenz im ghanaischen Hinterland – ein transkontinentaler Austausch zwischen Experten
Schotterpisten, Buschbrände und sengende Sonne. Es ist ein brennend heißer Tag. Der Pick-Up verlässt knarzend die asphaltierte Straße aus Ho in Richtung Adaklu Waya. Ho, das ist die Regional-Hauptstadt der Voltaregion im Südosten von Ghana, nicht weit von der Grenze zu Togo entfernt. Die Voltaregion ist eine der ärmsten Gegenden in Ghana. Viele Menschen leben weit verstreut in kleinen Dörfern oder Siedlungen. Zu einem dieser Dörfer fährt der Pick-Up. Der Fahrer weicht gekonnt Felsbrocken und Schlaglöchern aus. Es ist wackelig. Die Fahrt ist zügig. Die Fenster sind zu, weil es sonst zu viel Staub und Dreck in das Auto wehen würde. Am Straßenrand sehen die Mitfahrer verbrannte Erde, Viehtreiben und Menschen, die in Kanistern Wasser aus einem Loch neben der staubigen Piste nach Hause tragen. Hier in der Volta-Region engagiert sich HITA e.V. für die Verbesserung der medizinischen Versorgung. Und ein HITA-Team ist an Bord des Pick-Ups. Thomas Erkert und Daniel Gerlach, beide im Vereinsvorstand von HITA e.V., überprüfen noch einmal die Technik. Petra Knott, früher Krankenschwester, heute Lehrerin, bereitet eine Check-Liste vor. „Wir hatten Zweifel, ob das alles so funktionieren würde, wie wir es in Deutschland vereinbart hatten!“, erinnert sich Daniel Gerlach, der für die technische Ausstattung verantwortlich war.
Nach rund einer Stunde ist die Ruckelei vorbei. Der Pick-Up biegt auf den Parkplatz vor einem modernen Gebäude ab, eine kleine Klinik für die medizinische Erstversorgung (Abbildung 1). Hauptsächlich sind es Malaria, Infektionen oder Wunden, die hier behandelt werden. Auch Kinder erblicken hier das Licht der Welt. Hinter den Türen ändert sich das Bild. Staubige Waschbecken ohne fließend Wasser, Patientenzimmer ohne Betten, Schaumstoffmatratzen auf dem Boden oder einem Holzpodest. Beim Bau des Gebäudes wurde, so der Eindruck der Experten aus Deutschland, die Einrichtung nicht berücksichtigt (Abbildung 2 und 3).
Das HITA-Team geht vorbei am Operationssaal, oder dem, was so genannt wird. An eine Operation ist unter diesen Umständen nicht zu denken. Am Ende des Ganges ist der Empfang, davor ein Wartebereich. Hier werden die Experten aus Deutschland herzlich empfangen. Thomas Erkert, Petra Knott und Daniel Gerlach bringen langjährige Erfahrung aus dem Gesundheitsbereich mit. Togbe Lablulu freut sich über das Wiedersehen: „Ihr habt versprochen, dass ihr wiederkommt und ihr habt Euer Versprechen gehalten!“. Ein Togbe ist als Stammesführer mit einem Bürgermeister in Deutschland vergleichbar. Neben ihm ist ein Team aus Hebammen, Krankenpflegerinnen und -pflegern, sowie ein Vertreter des Klinikbetreibers anwesend. Die Spannung steigt.
Schnell wird noch ein Banner von HITA e.V. aufgestellt und dann geht es los. Daniel Gerlach baut einen Laptop mit Webcam auf dem Empfangstresen auf. Daneben kommt ein Mobiltelefon für die Datenverbindung. Ein Klick, um den Videoanruf zu starten. Und es klingelt. Plötzlich Stimmen und Bilder aus Mannheim. Die Verbindung steht. Die Qualität ist gut. Die Studierenden aus Mannheim freuen sich auf der einen Seite der Leitung. Das medizinische Personal am anderen Ende der Leitung ist gespannt: die Studentinnen und Studenten der Hochschule Mannheim präsentieren den Prototypen einer App zur Dokumentation von Krankheitsverläufen in strukturschwachen Gegenden (Abbildung 4).
Diese App ist im Rahmen eines Design Thinking-Kurses entstanden. Design Thinking ist eine Methode zur Entwicklung von Systemen und Lösungen, bei denen die Nutzer, also hier Patienten und medizinisches Personal, im Mittelpunkt stehen. Die Krankenpflegerinnen und -pfleger in Ghana geben konstruktives Feedback und überlegen sich einen möglichen Einsatz der vorgestellten App in ihrem Klinikalltag. Der Klinikmanager bewertet die Ideen aus Deutschland als vielversprechend und würde sich über eine weitere Zusammenarbeit freuen. Die als Rückfalloption mitgebrachten Ausdrucke der vorbereiteten Präsentation kommen nicht zum Einsatz. Das Mobilfunknetz ist in Adaklu Waya ausreichend stark, um die Datenverbindung zu ermöglichen. Nach einer guten Stunde des Austausches folgt man, wie in Ghana üblich, dem Protokoll und Togbe Lablulu bedankt sich bei allen Beteiligten für die inspirierenden Einblicke und die Möglichkeit, in dieser besonderen Art mit jungen Menschen kontinentübergreifend zusammen zu arbeiten.
Geschafft! Es hat alles geklappt! Die Anspannung verfliegt und es wird noch ein wenig „geschwätzt“ (Abbildung 5). Daniel Gerlach baut die provisorische Videotelefonie-Anlage wieder ab. Petra Knott und Thomas Erkert richten gemeinsam mit dem Klinikpersonal noch zwei Patientenzimmer ein. In der Zwischenzeit hat eine Reinigungskraft den gröbsten Schmutz beseitigt. Moderne Patientenliegen, Betten und Möbel, die HITA e.V. als Spende eines Krankenhauses in Deutschland per Schiffs-Container nach Ghana gebracht hat, werden überprüft und dem Klinikpersonal erklärt: „Neben Sauberkeit und Hygiene ist es essentiell, dass die Möbel so aufgestellt werden, dass man die Patientinnen und Patienten von jeder Seite aus erreichen kann“, ist nur eine der vielen Hilfestellungen, die Petra Knott und Thomas Erkert mit dem Personal aus Ghana diskutieren (Abbildung 6 und 7).
Um viele neue motivierende Eindrücke reicher, steigt das HITA-Team einige Stunden später wieder in den Pick-Up. Unterwegs fahren Arbeiter, Bauern und Schüler ein Stückchen mit. Sie steigen geschwind auf die Pritsche und klopfen an die hintere Scheibe, wenn sie wieder absteigen möchten, um den Weg zu ihrem Zuhause zu Fuß durch den Busch zu beenden. In der Dämmerung erreicht der Pick-Up wieder die Stadt Ho. Die Zusammenarbeit geht auch nach der Rückkehr der HITA-Experten nach Deutschland weiter. Aus dem Prototypen der App soll eine einsetzbare marktreife Lösung entwickelt werden. Das Pflegepersonal, der Klinikmanager und Togbe Lablulu sind gespannt auf das Ergebnis.
Am 15. Juni haben wir ein Podcast mit weiteren aktuellen Informationen zu diesem Projekt auf unserer Audio-Plattform HITA Radio online gestellt. Die beiden HITA Vorstände Thomas Erkert und Daniel Gerlach berichten in einem aufschlussreichen Interview über die Entstehung des Projekt, der aktuellen Entwicklung der App und von der Video-Konferenz, die sie Anfang des Jahres während ihres Ghana-Besuchs gemeinsam mit Experten vor Ort und mit den Studenten in Mannheim geführt haben.
Über HITA e.V.:
Healthcare IT for Africa e.V. (HITA e.V., www.hita-ev.org) ist eine gemeinnützige Nichtregierungsorganisation. HITA e.V. ist ein Zusammenschluss von Experten und Expertinnen aus den Bereichen Bildung, Entwicklungszusammenarbeit, Gesundheitswesen, Betriebswirtschaft, Management und Informationstechnologien, die sich alle ehrenamtlich engagieren. HITA e.V. realisiert seit 2009 Bildungsprojekte für Berufsschulen, sowie Telemedizin- und Infrastrukturprojekte für den Gesundheitsbereich. Der Fokus liegt aktuell auf den ländlichen Gebieten Ghanas. Als gemeinnützig tätige Nichtregierungsorganisation ist es die Vision von HITA e.V., mithilfe von eHealth- und mHealth-Technologien zur Optimierung der beruflichen Bildung des nichtärztlichen Personals beizutragen. Das sind Formen des Lernens, bei denen elektronische oder digitale Medien für die Präsentation und Distribution von Lernmaterialien verwendet werden und die Möglichkeit besteht, portable Endgeräte, z.B. Smartphones oder Tablets, einzusetzen. Das Ziel von HITA e.V. ist die nachhaltige Verbesserung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Gebieten Afrikas.
Artikel als PDF zum Download: HITA Videokonferenz